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Digitaler Selbstmord in 4 Sätzen und die hässliche Fratze des Internets

Eigentlich könnte es der Plot eines mittelmäßigen US-Thrillers sein. Eine junge PR-Frau setzt einen Tweet ab, steigt in ein Flugzeug und als sie landet hat der Tweet ihr Leben zerstört. Job weg, Familie distanziert, die ganze Welt des Internets gegen sich. So aber ist es leider traurige Realität. Traurig ist aber nicht nur der (zweifelsohne dumme) Tweet, es sind auch die völlig überzogenen Reaktionen bis hin zu Todesdrohungen.

Was war passiert?

Justine Sacco, PR-Frau des US-Unternehmens „InterActiveCorp“ (unter anderem match.com, Vimeo, about.com) twitterte sinngemäß folgende vier Sätze in englischer Sprache:

Ich bin auf dem Weg nach Afrika. Hoffentlich bekomme ich kein AIDS. Ich mach nur Spaß. Ich bin weiß.”

justinesacco

Danach steigt sie offenbar in London in ein Flugzeug Richtung Südafrika. Dann der Super-GAU – Der Tweet geht nicht etwa im allgemeinen Twitter-Gewusel unter, immerhin sind es über 500 Millionen Tweets pro Tag die so abgesetzt werden. Nein, dieser Tweet geht um die Welt, erhält tausende Retweets und Favoriten, große Medien wie die New York Times, Huffington Post oder hierzulande die BILD greifen die Geschichte auf – Frau Sacco wird berühmt. Unter dem Hashtag #HasJustineLandedYet laufen sekündlich Tweets zu der Geschichte ein. Mal sind es Links zu Artikeln, oft genug aber auch wüste Beschimpfungen.

Im nächsten Akt verliert die Dame offenbar noch während ihres Fluges den Job, zumindest löscht ihr Arbeitgeber umgehend ihren Namen von der Unternehmenswebseite und schreibt: „Bedauerlicherweise befindet sich die betreffende Mitarbeiterin auf einem internationalen Flug und ist nicht zu erreichen. Dies ist eine sehr ernste Angelegenheit und wir werden angemessen darauf reagieren.“

Justine Sacco steht nicht mehr auf der IAC Webseite
Justine Sacco steht nicht mehr auf der IAC Webseite

Die Reaktionen reichten von kreativ bis unmöglich. So registriert jemand die Domain justinesacco.com und leitet sie auf die Afrika-Hilfswebseite aidforafrica.org um. Soweit so kreativ. Der Anbieter von WLAN Zugängen in Flugzeugen Gogo nutzte den Vorfall für einen cleveren Werbe-Tweet „Wenn du das nächste mal etwas Dummes vor einem Flug twitterst, dann stell sicher dass es ein Gogo Flug ist“. So hätte Justine Sacco den Tweet ändern, löschen oder wenigstens reagieren können.

So aber konnte sie erst reagieren als sie in Kapstadt landete. Sie löschte dann auch nicht nur ihren Tweet sondern gleich den ganzen Account. Für jemanden, der in seinem LinkedIn Profil „Krisenkommunikation“ als berufliche Kompetenz stehen hat, war auch diese Entscheidung nicht die klügste. Die Story indes geht weiter: Ein Twitter-User machte Fotos von ihrer Ankunftin Kapstadt, sprach vor Ort sogar mit ihrem Vater.

Die Meute des Internets

Nun muss man sagen: Ja, der Tweet war rassistisch und dumm. Ich hatte erst noch auf Sarkasmus getippt, allerdings ist Justine wohl dafür bekannt, dass sie gern mal etwas dubiose Tweets absetzt. Auch ein Hack ihres Accounts ist inzwischen offenbar ausgeschlossen, da sie nach der Landung den Tweet nicht dementiert hat.

Das Problem: Twitter und das Internet im Allgemeinen liefern immer nur eine Momentaufnahme. Niemand kennt Hintergründe und weiß ob das dort Abgesetzte wirklich den Tatsachen entspricht, oder überhaupt von der Person kommt, die im Profil steht. Alle zeigen mit dem Finger auf eine Frau, obwohl sie unter Garantie selbt schon mal einen politisch unkorrekten Spruch vom Stapel gelassen haben. Man darf und muss solche Tweets kritisieren, aber wäre es nicht sinnvoller, die Energie Richtung Südafrika zu lenken? Ein Land in dem 5,6 Millionen Menschen mit  HIV infiziert sind, wo AIDS als tickende Zeitbombe für ein ganzes Land gesehen wird. Wäre das nicht zielführender, als seinen Hass und seine Schadenfreude an einer offensichtlich nicht ganz schlauen PR-Frau auszulassen? Wer weiß – Vielleicht stellt sich das ganze am Ende als eine geniale Kampagne heraus, um auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Ok – das wird nicht passieren.

Was in jedem Fall nicht geht: Jemanden für einen dummen Spruch verurteilen, aber im gleichen Atemzug Todesdrohungen ausstoßen. Vielleicht sollte die Internet-Gemeinde zur Besinnung kommen und der Frau eher Aufklärung zukommen lassen. In Zeiten, in denen Teenager sich nach Cyber-Mobbing das Leben genommen haben, hat auch jeder einzelne im Netz eine gewisse Verantwortung – Und wenn es gegenüber einer Justine Sacco ist. Selbst wenn ihr Vater Milliardär ist, ändert das nichts daran, dass jemand einen Fehler überleben darf. Wir schimpfen, wenn ein Herr Schäuble seinen Minister öffentlich fertigmacht und beteiligen uns selbst an einer digital-öffentlichen Hetzjagd?

Ich bin gespannt wie der Fall ausgeht, ob Frau Sacco sich äußert und ob in einigen Wochen noch jemand über den Vorfall spricht. Wir lernen zumindestens: Twittere nichts, was du nicht auch mit einem Megafon über den Marktplatz schreien würdest – Zumindest wenn du mit deinem Klarnamen auftrittst.

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