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Clubhouse Ramelow

Was im Clubhouse passiert, bleibt im Clubhouse? Der Fall Bodo Ramelow

Irgendwie dachte man in Sachen Social Media: Was soll da noch Neues kommen, haben wir nicht alles schon gesehen? Dann kam Clubhouse und löste einen wahren Hype aus – zumindest unter iPhone-Nutzer:innen, denn nur die haben bisher Zugang zu dieser Live-Podcast-App. Das neue Social Network ist wie eine riesige öffentliche Telefonkonferenz, bei der sich jede:r dazuschalten kann, so er denn eine Einladung und das passende Endgerät hat. Der Kern der App liegt in der Unmittelbarkeit des Gesagten. Audio only heißt auch: Es kann nicht nachgelesen oder -gehört werden. Diese Tatsache führt immer wieder zu Diskussionen, aktuell um den Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow.

Der Fall Bodo Ramelow, Candy Crush und das schlüpfrige Foto

Darum geht es: Ramelow war am Freitag Abend in einem Raum mit dem Titel „Nachtgespräche – zwischen Trash und Feuilleton“, zusammen mit unter anderem Lilly Blaudszun, Manuela Schwesig, Kevin Kühnert und Paul Ronzheimer. In der Lockerheit des Abends plauderte Ramelow dann sehr ungezwungen und äußerte sich auch zu Trash-Themen rund um Heidi Klum, Bill Kaulitz (den er nach eigener Aussage mit einem AfD-Politiker verwechselte) und einem Foto mit Hand in der Hose. Also nicht unbedingt Themen, die man auf den ersten Blick mit einem Ministerpräsidenten assoziiert, wenngleich ich es sehr angenehm fand, mal nicht die gestelzte Sprache eines Politikers zu hören. Auch Ramelows Geschichten aus der Ministerpräsidentenkonferenz, in der er schon mal ein paar Level Candy Crush spielt, dürften das Presseteam gepflegt ins Schwitzen gebracht haben. In der Folge erschien noch am selben Wochenende ein Artikel von Johannes Boie in der Welt am Sonntag, der die Details aus diesem Talk thematisierte und letztlich auch skandalisierte. Das ganze führte dann zu vielen weiteren Diskussionen um diesen einen Fall auf Clubhouse und Twitter.

Der kleine „Skandal“ wirft interessante Fragen auf. Wie öffentlich ist das Gesagte in Clubhouse? Sind Politiker:innen  in einem halb-öffentlichen Chatraum um 23 Uhr nachts Privatleute oder immernoch Mandatsträger:innen? Darf ich mich als Politiker:in in einem Medium wie Clubhouse entspannter bewegen, als in einem Interview im Morgenmagazin? Gelten journalistische Regeln überall gleich?

Die Sehnsucht nach normaler Sprache

My two cents zum Thema: Ich glaube, dass es sowohl auf Seite der Bürger:innen als auch bei Politiker:innen eine Sehnsucht gibt, fernab geschliffener Phrasen zu kommunizieren. Eine Talkshow wie Anne Will wird von einer Redaktion genau geplant, die Beteiligten so ausgewählt, dass möglichst eine spannende Diskussion entsteht und jede Position besetzt ist. Niemand kann die gefeilten Sätze mehr hören, die Berater:innen den Gästen in den Mund gelegt haben.

Die Stärke von Clubhouse lebt von Spontanität und der Zufälligkeit des Panels, das sich jederzeit ändern kann. Da trifft Kai Diekmann auf Thomas Gottschalk und es entwickelt sich ein wirklich spontanes Interview. Die Inhalte und Rollen können kaum geplant werden, was dazu führt, dass auch die Themen und die Art wie man spricht nicht „corporate“ sind, sondern menschlich und (hier passt das abgedroschene Wort dann wirklich mal) authentisch.

Sind Telefonate mit 3.000 Menschen privat?

Und doch muss man sich bewusst machen: Im Grunde gelten offline und online die gleichen Regeln. Wenn ich in einem digitalen Raum mit 3.000 Menschen bin, muss ich davon ausgehen, dass dieser Raum öffentlich ist und die Informationen nach draußen gelangen. Und obwohl man das weiß, verhalten sich Politiker:innen und auch Journalist:innen auf der Plattform anders als in anderen öffentlichen Zusammenhängen. Woran liegt das? Könnte es vielleicht daran liegen, dass man auf Clubhouse in sein Telefon spricht? Die Konditionierung auf dieses Gerät sagt uns normalerweise: das hier ist ein persönliches Gespräch. In dem Fall aber dummerweise eines, bei dem Tausende zuhören. Dennoch verleitet es meiner Meinung nach dazu, etwas lockerer daherzureden, vor allem wenn es spät abends ist und man mit einem Wein im eigenen Wohnzimmer sitzt. Alles daran fühlt sich privat an.

Es ist ein bisschen wie auf Twitter in der Anfangszeit. Ein kleiner Kreis, eher elitär und die Regeln konstituieren sich erst. Bodo Ramelow ging laut eigener Aussage in einem späteren Clubhouse-Talk davon aus, dass die im lockeren Trash-Gespräch ausgetauschten Informationen „unter drei“ sind, ein im Journalismus üblicher Code, dass das Gesagte nur als Hintergrundinformation verwendet wird, aber nicht zitiert werden darf.

Chefredakteur Johannes Boie sah das offenbar anders und zog sich aus dem langen Gespräch die Informationen heraus, die er für wichtig hielt. Das ist an sich auch seine Aufgabe als Journalist, wobei es ab einem bestimmten Punkt dann doch in die Interpretation geht. So gab es sicherlich „zweideutige Anspielungen“, wie Johannes Boie schreibt, die Verknüpfung zum Sexismus aber „den die Jusos sonst gern im Detail erkennen“ würde ich an der Stelle zumindest nicht sehen. Auch ich hab den Talk an jenem Abend gehört und dachte zumindest: „Oha, das driftet ins sehr Flapsige ab“. Boie sagt, dass die Karriere eines konservativen Politikers hier vielleicht in Frage gestellt worden wäre. Dem würde ich entgegenstellen, dass auch etwa Philipp Amthor noch da ist, trotz eines Videos, in dem es um das Thema „Ölaugen“ ging und trotz offener Fragen rund um um das Thema Lobbyismus und Augustus Intelligence. Als man ihn darauf kürzlich bei Clubhouse ansprach, wurde kein Artikel daraus.

Zusammen mit dem Framing „Wir müssen aufdecken, was in der Politik-Medien-Blase nachts so geredet wird“ (was ich in diesen Zeiten für ein eher gefährliches Narrativ halte) bleibt aus dem Artikel von Herrn Boie ein bisschen der Eindruck, dass der angedeutete Skandal eigentlich keiner ist. Gleichwohl mag es im öffentlichen Interesse sein darüber zu diskutieren, ob ein Ministerpräsident in einer wichtigen MP-Konferenz zu einer schlimmen Pandemie denn nun Candy Crush spielen sollte oder nicht. Vielleicht aber ist Bodo Ramelow auch einfach der einzige, der das offen zugibt. Vielleicht ist es sogar legitim, in einer 10-Stunden-Sitzung mal 15 Minuten abzuschalten. Kurzum: Für ein Urteil reicht die Informationstiefe aus so einem Nacht-Talk kaum aus, wenn man keine Rückfragen stellt.

Übrigens, wenn  man mal ganz schnöde in die AGB von Clubhouse schaut, dann steht da: „You may not share, threaten to share, or incentivize the sharing of other people’s private information without their prior permission“. Formal sollte also nicht alles nach draußen gelangen, in der Realität aber tut es das.

Lasst uns das Besondere erhalten!

Mein Fazit: Die Annahme „Was im Clubhouse passiert, bleibt im Clubhouse“ ist vermutlich naiv. Aber die Stärke der App ist bisher die Disziplin, die sicher auch daraus resultiert, dass man sich mit dem Klarnamen anmelden muss und durch die Stimme sehr unmittelbar miteinander in Kontakt ist. Hate Speech habe ich in den ersten Tagen nicht gesehen, wenngleich es Gerüchte gibt, dass bereits die üblichen Verschwörungsmenschen bereits erste Kanäle aufgemacht haben. Hierzu aber gibt es eine starke Meldefunktion auf Clubhouse, die ggf. hilft.

Bezogen auf das Zitieren aus den Talks könnte man sich auf einen fairen Umgang einigen, bei dem man etwa nachfragt, ob etwas Gesagtes verwendet werden darf oder nicht. Letztlich ist Clubhouse auch nur ein weiterer Kanal und journalistische Regeln sind nicht außer Kraft. Wer vorher fair miteinander umging, wird es auch dort tun. Wer nur auf der Suche nach dem nächsten Skandal ist, um die Klickzahlen nach oben zu treiben, wird auch Clubhouse für seine Zwecke nutzen. Schade wäre, wenn Politiker:innen nur noch Fragen beantworten, die vorher abgesegnet und im weitesten Sinne angenehm sind. Dann wäre der Reiz der App verloren. Clubhouse hat etwas sehr Demokratisches. So kann der Moderator / die Moderatorin neben Politiker:innen auch ganz normale Bürger:innen auf die Bühne holen. In Echtzeit und von überall auf der Welt. Darin steckt viel Potential, übrigens auch für Unternehmen und NGOs. Lasst uns doch versuchen, dieses Potential verantwortungsvoll zu nutzen.

Habt ihr dazu eine Meinung? Dann schreibt es gern in die Kommentare.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Die Frage der Verantwortung für die Daten anderer, zunächst ganz unabhängig von der noch nicht erfolgten Anmeldung von clubhouse im Datenschutzbereich der EU, kommt bislang in der Debatte fast gar nicht vor.
    Dies ist zum einen eine ganz persönliche altbürgerliche „Höflichkeit“ der „Guten Kinderstube“, in ihrem besten Wortsinne betrachtet. Und diese wird doch hier bereits durch so gut wie alle Teilnehmer (Anke D.B. hat das wohl durch einen Hack vermieden) ignoriert, indem ALLE Adressdaten aus dem verwendeten Smartphone automatisch zu clubhouse hocheladen werden. Hiermit hat doch auch der MP R. eine recht verantwortungslose Haltung gegenüber seinen Freunden, Kollegen und Genossen an den Tag gelegt. V.a. lässt ein solches Verhalten womöglich bei vielen, die dies wahrnehmen, die verständliche Annahme aufkeimen, dass dies wenn es schon bei einem so weitreichendem Geschehen wie im SocMedia geschieht, auch bei anderen zumal als weniger weitreichend erscheinenden Dingen womöglich noch häufiger vorkommen könnte.
    Dies in einer Zeit, wo viele Entscheidungen eines Landesoberhauptes buchstäblich über Leben und Tot entscheiden.
    Andererseits ist auch die Ignoranz gegenüber dem geltenden Recht, hier der DSGVO, in einer Zeit wo diverse Normative aus Zwang der Notwendigkeit beschnitten oder modifiziert werden müssen und so, wenig überraschend ohnehin Misstrauen entsteht, ob dies immer frei von persönlichen Interessen sein kann, in solcher Zeit erleben dann viele, die dadurch auch teilweise nicht immer nachvollziehbaren Einschränkungen und auch Leiden ausgesetzt sind, noch zusätzliche Verunsicherung durch diese Ignoranz gegenüber recht leicht einzuhaltenden Normativen.

    1. Als schnelle Antwort dazu: Ja, der Datenschutz ist eine relevante Frage, wobei bisher jedes erfolgreiche soziale Netzwerk alle Datenschutzregeln über den Haufen geworfen hat. Ich vermute bzw. hoffe auch stark, dass sicherheitsrelevante Kontakte nicht auf den Handys sind, mit denen hochrangige Politiker jetzt bei Clubhouse sind. In der Regel werden hier zwei Geräte verwendet.

      1. a)
        Folgerung:
        (Ihre Feststellung als korrekt anerkannt.)
        +
        Da es erfolgreiche soziale Netzwerke (immer wieder, unvorhersehbar oft) gibt, sollte die DSGVO und alle DS-Teile der Gesetzgebung schnellstmöglich (da andernfalls Verlust dringend benötigter Ressourcen) einem Abolitionsverfahren unterzogen werden.
        Was wäre an einer solche Folgerung zu bemängeln?

        b)
        “ dass sicherheitsrelevante Kontakte nicht auf den Handys sind, mit denen hochrangige Politiker jetzt bei Clubhouse sind“
        Die Reichweite der derzeitigen DSGVO ist nur für sicherheitsrelevante Kontakte erkennbar?

        c)
        “ dass sicherheitsrelevante Kontakte nicht auf den Handys sind, mit denen hochrangige Politiker jetzt bei Clubhouse sind“
        Wie sehen Sie Wahrscheinlichkeit (vs. Risiko), dass in Betracht stehende Akteure bei CH die gerade dort nötigen, gewünschten und CH-affinen Kontakte, politschen Freunde, Kontrahenten, Partner und Supporter erreichen können, mit der von Ihnen vorgenannt angenommenen und vorausgesetzten Bedingung? Halten Sie es für realistisch, dass ständiger, täglicher oder anderweitig periodischer Abgleich zur Selektion nicht sicherheitsrelevanter Kontakte für die seit einer Woche verfügbare CH-App auf ein zweites IPhone erfolgt.? Welche Software halten Sie dafür geeignet und handhabbar?

        1. Darf ich fragen, ob Sie Jurist:in sind? Ich muss zugeben, dass es sprachlich ein bisschen nach Ausfüllen eines behördlichen Fragebogens klingt, und dafür bin ich eigentlich nicht hier 😉

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