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Der tödliche Schuss vom Alexanderplatz, das Amateurvideo und die Frage nach der Medienethik

Neptunbrunnen
Der Zwischenfall passierte am Berliner Alexanderplatz im Neptunbrunnen.

Keine 3 Kilometer Luftlinie von meinem Büro entfernt, hat die Polizei am Freitag einen offenbar geistig verwirrten Mann erschossen. Jetzt werden sich einige fragen, ob das hier in den Blog gehört? Ich finde ja – nicht weil ich sensationsgeil bin, sondern weil es ein Video von dem Vorfall gibt, das Diskussionen rund um die Themen Medienethik, Social Media, Bürgerjournalismus und politische Kommunikation ausgelöst hat. Ein bisschen hat mich das ganze aus der Sicht der medialen Verbreitung an die Tat in London vor wenigen Wochen erinnert – nicht vom Tathergang her aber auch hier war die mediale Aufmerksamkeit durch Passanten erzeugt worden, die mit ihrem Handy vor Ort waren.

Was jetzt in Berlin genau passiert ist, kann man in der Presse nachlesen. Das besondere an dem Fall ist m. E. die mediale Aufmerksamkeit in Zeiten des Social Web. Ein Passant hatte den Vorfall gefilmt und ins Internet gestellt (ich zeige den Film hier bewusst nicht, wer ihn sehen will muss nur mit dem Wort Neptunbrunnen bei Youtube hantieren und findet ihn leicht). Allein die Youtube-Videos zu dem Zwischenfall wurden innerhalb von 24 Stunden über 260.000 mal aufgerufen, andere Videowebseiten aus den USA kamen auf über 80.000 Aufrufe und über 2.000 Kommentare. Vor allem bei Facebook wurde das Video geteilt – durch die Frage ob der Einsatz einer Schusswaffe gegenüber einem nackten Mann berechtigt war, entbrennt in den sozialen Medien eine sehr emotionale Diskussion über Themen wie Notwehr, Polizeigewalt und die Ausbildung von Berliner Polizisten. Die Menschen stellen Fragen: Warum geht ein Polizist ohne Schutzweste zum Mann in den Brunnen? Hätte man den Angreifer nicht auch durch Pfefferspray oder einen Schuss in den Arm kampfunfähig machen können? War das wirklich Notwehr?

Ich denke diese Fragen kann niemand der nicht dabei war wirklich beantworten. Interessant aus Kommunikationssicht ist für mich:  Wie geht man damit um, dass der Tod eines Menschen gefilmt und ins Internet gestellt wird?

Die Politik reagiert in meinen Augen mal wieder, als wäre das Internet #Neuland für sie. Ein „CDU-Medienexperte“ und nebenbei Fraktionsvize der Union  (Michael Kretschmer) äußerte sich gegenüber dem „Focus“ folgendermaßen: „So etwas darf nicht gepostet werden. Wenn es etwas gibt, wo Facebook sofort reagieren muss, damit die Bilder aus dem Netz genommen werden, dann sind das solche Fälle.“ Die Bilder seien „menschenverachtend“. Da muss man leider sagen: Sie haben das Internet nicht verstanden – Was einmal im Netz ist, bleibt im Netz. Jeder kann das Video sofort herunterladen und an anderer Stelle wieder zugänglich machen – keiner der großen Internetkonzerne wird sich die Mühe machen die tausenden Verlinkungen zu löschen (ich bewerte das nicht, ich sage nur dass es so ist). Und warum geht man Facebook an, lässt aber die anderen offiziellen Medien außen vor? Viele Online-Medien haben das Video bei Facebook nämlich selbst verlinkt.

Die Frage, die für mich im Raum steht: Rechtfertigt das öffentliche Interesse um die Frage, ob der Schuss gerechtfertigt war, die Veröffentlichung  (Verlinkung) des Videos in offiziellen Medien?

Normalerweise gibt der Presserat in der Richtlinie 8.2 zum Opferschutz folgenden Rat:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen  zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Sollte man es also nicht veröffentlichen um das Opfer zu schützen? Oder sollte man es veröffentlichen, damit niemand ein eventuelles Fehlverhalten der Polizei vertuschen kann?

Daraus ergeben sich Fragen wie z.B.

  • Wie gehen Medien mit den Inhalten aus sozialen Netzwerken um?
  • Wie gehen soziale Netzwerke mit solchen Inhalten um?
  • Wie sehr weiß die Politik um die Mechanismen im Social Web?
  • Wie viel Realismus ist zumutbar?
  • Kennt Pressefreiheit Grenzen?

Wenn jemand dazu eine Meinung hat, darf er die gern in den Kommentaren hinterlassen.

Fotonachweis: wikipedia / Dieter Brügmann

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ich glaube eine fallbezogene Auslegung ist der Sache sehr dienlich. Ausgehend von der Annahme, dass der Presserat Opfer schützen will, steht sicherlich auch im Rahmen des öffentlichen Interesses und der damit verbundenen Diskussion nichts entgegen, dass ein Fall rechtlich korrekt geklärt wird. Zudem ist es so, dass Details des Opfers (Gesicht, Identität, etc.) in den Passantenvideos, soweit ich beurteilen kann, nicht erkennbar sind.

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